Der König von Rinderen

                 

                     - oder Wo ist der alte Düffelthirsch -

 

Über die endlosen Weiten des Niederrheinlandes blies wieder mal ein kräftiger Wind, durch die Wipfel des Niederwaldes in der Düffelt. Begleitet von geheimnisvollen, mystischen Schwingungen, fegte er vom Rhein herüber und war bis zum Höhenzug des Ketelwaldes spürbar. Für die niederfränkische  Bevölkerung, die hier lebte, war das kein gutes Omen.

Denn die Menschen, die sich hier schon in der Frühzeit angesiedelt hatten, haben kein leichtes Leben. Blutrünstige Dämonen und Verwüstungen durch vagabundierende Germanenstämme, versetzen sie regelmäßig in Angst und Schrecken. Als wären die Menschen nicht gebeutelt genug, wurden sie immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht, die regelmäßig ihre Felder und Wiesen überfluteten.

Nun begab es sich, dass ein Heer von römischen Legionären von Xanten aus über dem Rhein in die Niederrheinlande kam, um den vor Nymwegen tobenden Bataveraufstand nieder zu schlagen. Gleichzeitig wollten die Römer ihr Reich weiter nach Norden auszuweiten. Aus diesen römischen Legionären ging ein stolzer Feldherr als König Alfi von Rynderen hervor.

Dieser König gehörte einem niederfränkischen Teilstamm, den sogenannten Salfranken an, die sich hier in den Niederrheinlanden im Laufe der Zeit angesiedelt hatten.

Mitglieder seiner Familie sind wie er, als große Baumeister im ganzen Land bekannt. Sie hatten früh erkannt, dass Deichbefestigungen, Schanzen gegen die germanischen Horden und Wohnraum für die Bevölkerung, hier im sumpfigen, so genannten Düffelgau zwischen Rhein und Ketelwald, von großer Bedeutung war.

Seine Burg hatte König Alfi in Rynderen errichtet, genau an der Stelle, wo bereits früher der römische Heerführer Drusus sein Legionärslager Arenacum und einen Kultplatz mit Weihestein errichtete. Arenacum liegt genau auf dem Uferwall eines alten Rheinarms und des tatsächlichen Rheinstom, des sogenannten Tweestroms. Von hier aus kontrollierte die weitverzweigte Familie von König Alfi den gesamten Düffelgau. In ihrem Wappenschild führen sie einen kapitalen Hirsch, was König Alfi in der Bevölkerung den Beinamen Düffelthirsch einbrachte.

Der König schützte sein Volk vor alle Gefahren und war ihnen auch ein angesehener Gelehrter. Er sorgte für Wohlstand und Sicherheit in der gesamten Region. Durch sein umfangreiches Wissen, das er aus seiner riesigen Buch- und Schriftensammlung schöpfte, galt König Alfi bei seinen Untertanen als Wanderer zwischen den Welten. Er entwickelte während seiner Regierungszeit mystische Kräfte und war so in der Lage, auch die geheimnisvollen Düffeltdämonen in Schach zu halten. Diese teuflische Brut bedrohten die Menschen in der Düffelt seit je her.

Nach wochenlangen Regenfällen bahnte sich dann, an einem trüben, regnerischen Herbsttag eine Katastrophe von ungeahntem Ausmaß an.

Es hatte Wochen lang geregnet. Das Wasser des Rheinstromes trat über die Ufer, so dass die Deiche den gewaltigen Druck nicht mehr stand hielten. Das Wasser in der Düffelt stieg höher und höher. Weiden und Äcker wurden überflutet, das Wasser drang in Häuser und Ställe. Ein kräftig aufkommender Sturm tobte plötzlich in der Düffelt. Blitze Und Donner färbten den Himmel über der Düffelt blutrot.

Selbst die mächtige Burg von König Alfi drohte überflutet zu werden. Nur der mächtige Burgturm, Dächer und Baumkronen ragten schließlich in Rynderen aus den Fluten.

Verzweifelt versuchten die Bewohner sich und ihr Vieh mit einfachen Kähnen auf höher gelegene Deichkronen und Warften in Sicherheit zu bringen.

Wo war, während das Unwetter wütete, ihr mächtiger König? Er wurde schon lange nicht mehr gesehen. Die Bevölkerung und auch seine engsten Vertrauten riefen verzweifelt nach seinem Schutz. Sie erwarteten seine Hilfe. Was ist mit ihm geschehen? Wo hielt sich der König auf? Lebte ihr geliebter König Alfi noch? Oder war er gar in den Fluten des Hochwassers umgekommen? Alle diese Fragen blieben ohne Antworten.

Während der König sich geistesabwesend  über alte Schriften, so wie er es in letzter Zeit immer häufiger machte, beugte und studierte, hatte er sein Volk vergessen. Er nahm seine Umwelt und die verzweifelten Hilferufe seiner Untertanen nicht mehr war. Nur wenige enge Vertraute hatten noch Zugang zu ihm. Der einst so starke König verlor sich immer mehr in einer unwirklichen Scheinwelt und schottete sich völlig von seiner Umwelt ab.

In dieser Situation vergaß der König völlig seinen Eid und seine Schutzverpflichtung, die er dem Volk gegenüber geleistet hatte. Diese Verpflichtung hatte ihn über die Grenzen des Düffeltgaus hinaus verlässlich und berühmt gemacht. Nur durch diesen Eid hatte er auch seine mystischen Fähigkeiten von den Göttern übertragen bekommen.

Eine Palastrevolte bahnte sich auf der Burg in Rynderen an. Das Schicksal von König Alfi wurde besiegelt, seine königliche Macht steht auf Messerschneide. Immer mehr Gefolgsleute wenden sich von ihm ab. Selbst die ihm wohl gesonnenen klerikalen Fürsten, die vor den Fluten in die Burg geflüchtet waren,  entzogen ihm ihr Vertrauen. Alle Diejenigen, die durch König Alfi erst zu Ruhm und Ansehen gekommen waren, ließen ihn nun fallen und nahmen ihm seine Königswürde.

Während die Naturgewallten im gesamten Düffelgau tobten, machte sich zur gleichen Zeit eine blutrünstige Dämonenarmee auf, Rynderen zu erobern. Von kreischenden Lauten begleitet, waberten blutrote Wolken über die geschundene Region. Ein bestialischer Schwefelgeruch machte sich breit. Die satanischen Dämonen erkannten die große Chance, ihren Widersacher König Alfi, mit ihrem satanischen Blutfeuer zu vernichten. Nur durch die schreckliche Notlage der Bevölkerung und die Abwesenheit des Königs, waren sie wieder in die Lage gekommen, die Menschen zu beherrschen. Gleichzeitig wollen die satanischen Mächte verhindern, dass die katholisch- klerikale Dominanz im niederfränkischen Bereich der Niederrheinlande, die König Alfi in der Vergangenheit immer unterstützt hatten, gebrochen wird.

Nachdem König Alfi nur noch eine Handvoll Getreue zur Verfügung stehen, konnten diese ihn endlich überreden einen verschlüsselten Hilferuf in die mystische Welt des Düffeltgaus zu senden, um zu retten was noch zu retten war. Der gestürzte König sammelte all seine mystischen Kräfte und tat was ihm von seinen Getreuen geraten wurde.

Sofort wurde Jan der Fischersohn aus Nütterden auf den Plan gerufen. Nur Jan, mit seinen übernatürlichen, mystischen Kräften konnte dem König noch beistehen. Er legte sofort seine magische Silberkette an, die er einst von Ritter Lohengrin bekommen hatte und machte sich auf den Weg nach Rynderen.

Auch Jan läuft die Zeit davon. Auf dem Weg zum angekündigten Blutfeuer lauerten die Dämonen bereits auf ihn. Mit lautem Getöse und feurig roten Blitzen begleiteten sie Jan auf dem Weg nach Rynderen. Wie schon so oft konnten sie ihm aber nichts anhaben. Der Fischersohn aus Nütterden war wieder einmal durch seine magische Silberkette vor ihren Angriffen geschützt. Nun galt es aber den bedrohten König Alfi und die Menschen in der Düffelt zu retten.

Am  heiligen Weihestein, in der Nähe des Drususdeiches in Rynderen, treffen König Alfi und seine Getreuen mit Jan zusammen.

Nun muss sich Alfi der alte Düffelthirsch seiner größten Herausforderung stellen, denn Jan erinnerte ihn daran, was ein ungeschriebenes Gesetz in der mystischen Welt besagt;

….sein Leben erneuern und die Dämonen verbannen kann nur, wer alles auf gibt, was er jemals geliebt hat….

Gestützt von zwei seiner Diener wehrte sich der einst so stolze König nur schwach, dann gab er Jan dem Fischersohn die mystischen Fähigkeiten, die ihm von den Göttern gegeben waren, zurück. 

Plötzlich, als er seine geliebte, goldene Königskrone auf den Weihestein niederlegte, wurde es ganz still in Rynderen. Der Sturm und der Regen hörte mit einem Schlag auf zu wüten.

Nur noch von Ferne war das böse Krächzen der flüchtenden, satanischen Dämonen zu vernehmen.

Die Menschen im Düffelgau können aufatmen, Frieden kehrte wieder ein in Rynderen.

Mit der Hilfe von Jan dem Fischersohn aus Nütterden, hatte wieder mal das Gute über das Böse gesiegt.

Um den einstigen König wurde es nun still. Scheinbar hatte er seine geliebte Heimat, verlassen.

Das letzte was überliefert ist, dass hin und wieder ein einsamer, alter Hirsch in der Düffelt gesichtet wird. Der Volksmund spekuliert dann unter vorgehaltener Hand, dass ihr König Alfi wieder in seinem Düffelgau unterwegs ist.